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Die Multiplikatoranalyse vermittelt ein Bild einfacher Machbarkeit. Sie weist einen geradlinigen Weg aus der Rezession. Der Staat entwickelt Nachfrage, die über Produktion und Beschäftigung Einkommen entstehen lässt und sich selbst multipliziert. Demnach wäre das wichtigste Instrument, Vollbeschäftigung herzustellen, ein Taschenrechner.

So einfach kann es nicht sein! Oder doch?

Eine klare Antwort darauf gibt es nicht. Man muss die Frage differenziert angehen. Zum einen kommt es natürlich - wie immer - auf die Umstände an. Zum anderen wäre es sicher verfehlt, das vorgestellte Modell wegen seiner restriktiven Annahmen in Grund und Boden zu verdammen. Das wäre eher eine Kritik an unseren eigenen intellektuellen Fähigkeiten, denn ein Teil der getroffenen Annahmen dient der Modellvereinfachung zur Erleichterung des Verständnisses.

Zu den zentralen Fragen, die hinsichtlich der Wirksamkeit des Multiplikators zu stellen sind, zählt, ob die Diagnose des wirtschaftlichen Zustandes stimmt. Bei einer fehlerhaften Diagnose hilft die beste Therapie nicht. Daher ist zu klären, ob sich die Wirtschaft tatsächlich in einer konjunkturellen Rezession befindet oder ob die Unterauslastung der Kapazitäten in Folge oder in Verbindung mit einer Wachstumsschwäche aufgetreten ist, die auf strukturelle Probleme zurückzuführen ist. Stellen wir uns dazu vor, es gäbe nur zwei Typen von Arbeitskräften. Der Einfachheit halber bezeichnen wir sie als gut und schlecht Ausgebildete. Für die Unternehmen soll es ein optimales Verhältnis geben, in dem sie die Arbeitskräfte beschäftigen, z.B. 1:3. Beschäftigten sie ausschließlich schlecht Ausgebildete, käme die Produktion mangels Koordination schnell zum Erliegen. Beschäftigten sie ausschließlich die gut Ausgebildeten, wäre die Produktion zu teuer, die Arbeitskräfte wären überqualifiziert und unmotiviert.

Wenn die schlecht Ausgebildeten unter hoher Arbeitslosigkeit leiden, würde ihnen eine Steigerung der Nachfrage kaum helfen, wenn in der Vergangenheit zu wenig Arbeitskräfte gut ausgebildet wurden. Versetzen Sie sich in die Lage eines Unternehmens, dem ein Auftrag des Staates winkt. Um den Auftrag abwickeln zu können, würden Sie einen Ingenieur und drei weitere Arbeitskräfte einstellen müssen. Die Arbeitsagentur kann Ihnen sofort weitere Arbeitskräfte, aber keinen Ingenieur vermitteln. Allenfalls könnten Sie mit einem attraktiven Angebot versuchen, Ingenieure aus einem bestehenden Beschäftigungsverhältnis abzuwerben. Das würde zwar Ihnen auf Kosten höherer Löhne helfen, dafür fehlte der Ingenieur nun aber in einem anderen Unternehmen. Die Nachfragesteigerung spränge über auf die Kosten, ohne dass zusätzliche Arbeitsplätze entstünden.

Das grundsätzliche Problem liegt hier auf der Angebotsseite. Die ist in der Multiplikatoranalyse allerdings vollkommen ausgeblendet. Und von einer nachfrageseitigen Maßnahme kann man nicht erwarten, dass sie ein angebotsseitiges Problem löst.

Wenn Ihnen das vorgetragene Beispiel mit den gut und schlecht ausgebildeten Arbeitskräften allzu naiv erschien - es ließe sich relativ nahtlos auf die sektorale Wirtschaftsstruktur übertragen. Der Multiplikatorprozess kommt ins Stocken, wenn Zulieferungen aus ausgelasteten Sektoren unterbleiben. Der Prozess kann aber ebenso durch langwierige Genehmigungsverfahren behindert sein, die die Ausweitung von Produktionsstätten, neue Produkte oder Verfahren verzögern oder stoppen. Unter Umständen tragen arbeitsrechtliche Regelungen zur Zurückhaltung der Unternehmen bei Neueinstellungen bei.

Ein weiteres Problem der Multiplikatoranalyse mag darin gesehen werden, dass die Entscheidungsträger vor lauter Entzückung über die Möglichkeiten, die ihnen an die Hand gegeben sind, die allokativen Wirkungen der Staatsausgaben aus den Augen verlieren. Die hohe Aggregationsstufe der Analyse differenziert nicht nach der Art der Staatsausgaben und ihren Folgewirkungen. Ein ausgegebener Euro ist ein Euro, vollkommen gleichgültig, ob er in ein sinnvolles Projekt investiert wird oder in nutzloser Beschäftigungstherapie verpufft. Deswegen besteht die Gefahr, dass Verschwendung als beschäftigungsfördernd und ein sparsamer Umgang mit öffentlichen Mitteln als beschäftigungshemmend gesehen wird.

Auch wenn das Problem tatsächlich in unzureichender gesamtwirtschaftlicher Nachfrage besteht, sind kritische Punkte zu bedenken. Wir werfen sie in Form von Fragen auf, verzichten aber auf deren Beantwortung. Das würde an dieser Stelle zu weit führen, da die Fragen teils neue Themenfelder aufmachen, teils fehlt uns auch noch das notwendige Instrumentarium.

 

 

 

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